Es wird Zeit erwachsen zu werden.
März 2020
Meine Gedanken machen wilde Höps. Ja, ich bin Erfinderin. Erfinderin von Worten und Erfinderin von Möglichkeiten. Ohne diese Fähigkeit wäre ich in meinem Leben schon so einige Male sang und klanglos untergegangen. Ich wurde Musikerin, weil ich meine Gedanken ordnen musste, meine Klarheit entstand, weil Musik hörbar und fühlbar machte, was ich auf andere Weise nicht erreichen konnte. Zuerst nur für mich. Um dann zu meiner großen Freude zu erfahren, was das mit anderen macht. Genau das, was ich selbst erfuhr, wenn ich Musik belauschte oder vor einem Bild stand, welches mich im tiefsten Innern berührte. Was für eine herrliche Macht. Wenn sie in Demut bleibt, wenn sie nicht will, sondern liebt und getragen ist von Berührung, die es möglich macht sich selbst zu begreifen, dann wurde und wird es richtig spannend für mich. Es ist nicht mehr die Bestätigung, dass ich gut bin, wenn der Applaus kommt, sondern die Gewissheit, dass hier etwas ausgetauscht wird. Das ist für mich der Ur-Sinn von Kunst. Und deshalb brauchen wir sie.
Ich denke an meine liebe Freundin Regy Clasen und unser letztes Gespräch im Hospiz. Sie fragte mich, was sie denn wohl hinterließe. Der sogenannte große Durchbruch, das war nicht ihr Weg. Auch der von Edo Zanki, Susan Weinert, Stephan Ullmann und Astrid North nicht. Aber sie alle sind Frederick's. Genau diese Geschichte fiel mir ein. Ein Kinderbuch, das ich liebe. Und ich sagte: Du bist diejenige die, wenn alle Vorräte verbraucht sind, Licht, Sonne, Farben und Töne hinterlässt, die wir so dringend brauchen, um unsere Seelen zu nähren. Ein Geschenk für diese Welt, meine Sonne.
Wir müssen aufhören an Türen zu kratzen, die sich nicht öffnen. Wir müssen aufhören unsere Kräfte über die Maßen in Empörung und Wut zu vergeben um am Ende ohn-mächtig in der Ecke zu liegen, weil es nicht geschah. Keine Rettung. Was jetzt? Wir wurden nicht gehört. Wir sind nichts. Unwichtig, vergessen. Nein, das sind wir nicht.
Ich springe zurück. Wir erhoffen uns immer von unseren Eltern, dass sie uns sehen mögen, anerkennen und versorgen. Wir tun sehr viel, um das zu erreichen. Und in den allermeisten Fällen zahlen wir einen hohen Preis dafür. Weil wir uns verstellen und anpassen, um versorgt zu sein. Wir müssen das. Und wenn Du Menschen triffst, die als Erwachsene noch immer hoffen, dass der Vater oder die Mutter doch endlich sehen mögen, wer sie sind, dann weißt Du, sie hängen fest. Das gilt es zu entknüpfen. Es gibt nichts Befreienderes, als genau das zu tun. An diesem Punkt beginnt Selbstwirksamkeit und die Fähigkeit die Verantwortung für das eigene Tun und Handeln ganz in die eigenen Hände zu legen. Ob Du ein Arsch wirst oder ein Liebender, das ist Deine Entscheidung.
Wir möchten so gerne versorgt sein. Und in diesen Zeiten zeigt sich ein ähnliches Gebilde. Der Staat ist der Vater, die Mutter. Wir wollen, dass er uns sieht. verzweifelt klopfen wir und jammern und hoffen und appellieren. Bis wir müde werden. Und darüber vergessen wir die Selbstwirksamkeit. Es soll uns jemand versorgen. Wir geben unserer eigenen Möglichkeiten ab.
Nein, ich werfe niemandem seine Angst, Lähmung und Verunsicherung vor. Die hab ich auch. Aber irgendwann klickt etwas ein. Die große Frage: Werde ich jetzt still weinend in der Ecke sitzen bleiben mit der großen Enttäuschung, die meine Beweiskette nichts wert zu sein wieder schließt? Oder mich endlos aufreiben darüber, dass ich immer und immer wieder meinen Kopp an die Wand haue, damit sie sehen? Schau doch, sie lassen mich hängen, sie sehen mich nicht. Ich bin ein Opfer. Hier weigere ich mich. Nein, ich bin kein Opfer.
Mein Appell will vielmehr an Euer Wertgefühl ran. An die Punkte, an denen ihr in die Falle geratet, dass das schleichende Gefühl "was steht denn mir schon zu", welches ihr ohnehin schon mehr oder weniger leise immer getragen habt, hervorlugt. In so vielen Gesprächen in den letzten Wochen mit Kollegen kam dieser Punkt immer wieder deutlich zu Tage. Sie sagten: Ist ja kein richtiger Beruf. Schönes Hobby, was machen sie denn hauptberuflich? Die Mutter, die sich schämte für die Tochter, als sie sagte sie wolle Musik studieren. Aber es macht mir doch Spaß, darf ich dafür auch Geld nehmen? Ich kann doch nicht nach Hilfe fragen dafür, was ich da tue. Ist doch nur Kunst oder Musik….usw
Wir müssen endlich erwachsen werden. Und uns Er-Innern. An die Kraft, die in uns steckt und an die Selbstwirksamkeit. Wie kann ich statt darauf zu warten, dass jetzt endlich jemand kommt und mich rettet, selbst Wege erschließen? Wie geht das, sich gegenseitig zu unterstützen und zu verbünden? Wenn viele ein wenig geben, bewegt man plötzlich viel. Das ist meine Idee vom Künstlerartenschutz. Unabhängig werden und autarke Wege erschließen, wenn Vater/Mutter-Staat es nicht kapiert. Und diese Zeit ist jetzt. Weil wir uns jetzt gegenseitig brauchen.
Nein, wir sollten nicht aufhören zu kämpfen, aber wir sollten genauso an Wegen arbeiten, die uns von Systemen unabhängig machen. Baut ihn jetzt Euren kleinen CD Shop, verschickt liebevoll, wenn ihr es tut. Vielleicht fallen Euch noch andere Dinge ein, die ihr kreieren könnt. Traut Euch auch nach Support zu fragen. Unterstützt andere. Sucht nach Wegen zu helfen. Stärkt Euch gegenseitig, wo ihr nur könnt. Werdet Familie, gesunde Familie, in der nicht übergestülpte Identifikationen, sondern gesunde Identität zählt. Hört zu. Umarmt Euch selbst und dann Andere.
Love & Lux endlos.
Foto: meyeroriginals